
Ich sitze im Saal eines evangelischen Gemeindehauses. Das Dekanat Calw hat eingeladen. Natürlich geht es darum, wie es weitergeht in der Kirche. Natürlich geht es um „Kirche am Ort – Kirche an vielen Orten“. Natürlich geht es um die Bibel. Natürlich? So natürlich ist das nicht mehr. Ich erlebe es immer häufiger, dass es eigentlich nur um Strukturen, Feste und Gruppen geht. Die Worte der Bibel werden da weniger gehört. Vielleicht ist das der Grund, warum mir dieser Tag so gefällt. Wir sitzen in Gruppen, hören das Wort und sprechen über das, was wir hören und dabei empfinden. Es geht um Selbsterfahrung ganz besonderer Art. Wann hilft mir mein Glaube? Was ist so wichtig für mich daran?



Ein weiterer Lichtblick an diesem Tag ist die Referentin, Frau Dr. Hadwig Müller. Sie eröffnet uns mit ihren Worten neue bereichernde Einblicke auf die Bibelstelle (Mk 5,24-34) und auf die Chancen, die sie für uns als Gläubige bietet.



Langweilig wird niemandem, der ihr zuhört. Voller Überzeugung spricht sie von Visionen und erläutert Möglichkeiten, wie Gemeinden sich entwickeln können. Ich höre ihr zu und mir fliegen Bilder zu, wie wir uns entwickeln können. Ich bin begeistert.
Mir ist wichtig, einiges festzuhalten – für mich, aber auch für andere.
- Glaube geht nicht ohne jemanden anzusprechen. Ich brauche ein Gegenüber, das ich um etwas bitten; das ich anschreien oder anklagen kann. Glaube ist Beziehung, und unser Gott ist ein „Beziehungsstifter“ … zu ihm … zu uns … unter den Menschen.
- Glaube ist kein Angebot, das irgendwo auf dem Tisch liegt neben anderen Angeboten, aus denen ich wählen kann. Glaube ist Überzeugung. Ich bin überzeugt. Mein Glaube, das bin ich – mit meinen Erfahrungen und Ängsten. Diese Geschichten müssen wir erzählen.
- Meine Leidenschaft gehört den Menschen. „Ich liebe Menschen!“, höre ich mich immer wieder sagen, wenn ich mich und meine berufliche Biografie vorstelle. Deshalb bin ich Geistliche Begleiterin. Deshalb fotografiere ich Menschen. Deshalb coache ich Menschen, die ihren eigenen Weg suchen.
- Ich ahnte es zwar schon und brachte es auch immer mal wieder zur Sprache, doch nach diesem Tag ist es mir noch bewusster geworden, dass es um die Menschen in den Prozessen geht und nicht darum, wie die Pfarrei mit ihren Gruppen, Veranstaltungen und Gebäuden überleben kann. Unsere Leidenschaft als Christen sollte den Menschen gehören – ganz unabhängig davon, ob sie unsere Gottesdienste, Gruppen oder auch unsere Gemeinde bereichern. Es geht um ihre Geschichten und um ihr Leben. Wenn wir uns darum kümmern, werden wir eine neue Kirche werden, aber (!) wahrscheinlich Anders; als wir es erwarten und/oder auch zum momentanen Zeitpunkt möchten. Unsere Gemeinden sollten ein Ort der Gemeinschaft von Gleichgesinnten werden, die gemeinsam Gott suchen, und nicht etwa der Ort, an dem es nur um die Organisation des Krippenspiels oder Gemeindefestes geht.
- Ich muss mich mehr am Evangelium orientieren. Ganz schlicht und ganz ehrlich. Mich nicht hinter Regeln und Normen verstecken, sondern versuchen, dem Willen Gottes auf die Spur zu kommen. Darum geht es!
- Ich muss mich öffnen. Für Neues, Unbequemes und Ungewohntes. Vieles wird mir wahrscheinlich auf Anhieb nicht gefallen. Ich bleibe trotzdem neugierig. Im Gespräch mit Menschen sagte ich vor einiger Zeit, „Immer, wenn Ihnen der Satz ‚Das haben wir schon immer so gemacht!‘ einfällt, dann sollte eine Warnlampe bei Ihnen blinken, die signalisiert, darüber müssen wir mal nachdenken.“ Ich nehme mir vor, jeden Tag etwas Neues auszuprobieren. Mal sehen, wohin mich das führt.
Die gesellschaftlichen Veränderungen zwingen die Kirchen umzudenken und neue Konzepte zu entwerfen. Kirche wird dort überleben, wo wir lernen, von unserem Glauben zu erzählen und andere damit anzustecken. Wir brauchen keine Angst vor Neuem zu haben, denn Gott wird immer bei uns sein.
Also:
Welche Rolle wollen wir als Christen zukünftig in unserer Gesellschaft spielen?
Und:
Woran erkennen wir die Christen, wenn es nicht mehr der Kirchturm ist, der uns zusammenführt?
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